Systematik der Musikinstrumente

Ein Versuch

Von Erich M. v. Hornbostel und Curt Sachs

Zeitschrift für Ethnologie 46, 1914 (4-5):553-90


Klassifikatorische Arbeiten sind allgemein etwas anrüchig. Was immer geordnet und systematisiert werden soll, ist ohne System entstanden und wächst und ändert sich ohne Rücksicht auf ein begriffliches Schema. Stets ist der Gegenstand der Klassifikation ein Lebendiges, Dynamisches, das keine scharfen Grenzen und keine unveränderlichen Gestalten kennt. Das System aber ist statisch, mit möglichst scharfen Trennungslinien und Kategorien. Aus diesen Verhältnissen ergeben sich für den Systematiker die besonderen Schwierigkeiten, aber auch die besonderen Reize seiner Arbeit. Das Ziel muß sein, die Begriffe so durchzubilden und zu verfeinern, daß sie sich immer mehr der Fülle des Wirklichen anschmiegen und seine Übersicht sowie die Einordnung des Einzelfalls in das Ganze schnell und sicher ermöglichen.

An einer systematischen Ordnung der Musikinstrumente sind in erster Linie die Musikhistoriker, die Ethnologen und die Verwalter völkerkundlicher und kulturhistorischer Sammlungen interessiert. Aber nicht nur für die Materialsammlung, auch für die Beobachtung und deren Verwertung ist eine systematische Ordnung und Nomenklatur ein dringendes Erfordernis. Denn wer ein Musikinstrument bloß nach Gutdünken benennt, oder es beschreibt, ohne zu wissen, worauf es ankommt, wird mehr Verwirrung stiften, als wenn er es ganz unbeachtet gelassen hätte. In der Umgangssprache gehen die Bezeichnungen kunterbunt durcheinander. Dasselbe Instrument wird bald Laute, bald Gitarre, bald Mandoline, bald Banjo genannt; den Unkundigen führen Spitznamen und Volksetymologien in die Irre; so hat die deutsche Maultrommel nichts mit der Trommel, die englische jew’s (eigentlich jaw’s, Kinnbacken-) harp nichts mit der Harfe, die schwedische mungiga nichts mit der Geige, die vlämische tromp nichts mit der Trompete zu tun, und nur die Russen sind korrekt, wenn sie dasselbe Instrument, eine angerissene Lamelle, unverbindlich vargan nennen. Außer synonymen sind auch homonyme Bezeichnungen gefährlich. So bezeichnet das Wort marimba im Kongogebiet das sonst gewöhnlich zanza genannte Lamelleninstrument, anderwärts aber ein Xylophon. Die ethnologische Literatur wimmelt von unbestimmten oder mißverständlichen Bezeichnungen für Musikinstrumente, und in den Museen, in denen der Sammlungsbericht des Reisenden als oberste Instanz gilt, gehen die unsinnigsten Benennungen auch auf die Etiketten über. Eine richtige Beschreibung und Nomenklatur setzt allerdings die Kenntnis der wesentlichsten Merkmale der verschiedenen Typen voraus. Daß diese Voraussetzung selten genug erfüllt ist, zeigt jeder Museumsbesuch. Man wird z. B. immer und immer wieder finden, daß Oboen, die durch ein erhaltenes Doppelrohrblatt eindeutig genug gekennzeichnet sind, als Flöten oder günstigstenfalls als Klarinetten notiert werden; hat die Oboe gar ein Schallstück aus Blech, so kann man der Anzeichnung als Trompete gewiß sein.

Außer von praktischem, kann eine Systematik auch noch von theoretischem Nutzen sein. Dinge, die sonst wohl wenig miteinander zu tun zu haben scheinen, rücken oft nahe zusammen und führen zur Beobachtung von neuen genetischen und kulturhistorischen Zusammenhängen. Und dies wird immer der ausgezeichnetste Prüfstein für den Wert der Merkmale sein, die zur Einteilung gedient haben. Die Schwierigkeiten, die sich einer annehmbaren Ordnung der Instrumente entgegenstellen, sind sehr groß; denn was für die Instrumente einer bestimmten Zeit oder einer bestimmten Nation ganz gut angeht, braucht deswegen nicht zu passen, wenn man es den Instrumenten aller Völker und aller Zeiten zugrunde legt. So haben z. B. die alten Chinesen das Material als Teilungsprinzip angenommen. Sie unterscheiden zwischen Instrumenten aus Stein, Metall,Holz, Kürbis, Bambus, Haut und Seide, Trompeten und Gongs stehen zusammen, Steinharmonikas und Marmorflöten, Schalmeien und Klappern. Viel anders macht es unsere heutige Praxis auch nicht. Sie teilt die Tonwerkzeuge in drei große Kategorien ein: Saiteninstrumente, Blasinstrumente, Schlaginstrumente. Zugunsten dieser Einteilung läßt sich nicht einmal anführen, daß sie den Bedürfnissen des Alltags im ganzen gerecht wird; denn eine große Anzahl von Instrumenten läßt sich in den drei Gruppen nicht unterbringen, ohne in eine unnatürliche Stellung zu geraten, wie z. B. die Celesta, die doch den Schlaginstrumenten, also den Trommeln usw. zugewiesen werden müßte. Man hilft sich mit der Einführung einer vierten Kategorie mit dem peinlichen Titel „Verschiedenes”, die das Armutszeugnis eines jeden Teilungssystems darstellt. Die gebräuchliche Klassifizierung ist aber nicht nur ärmlich, sondern durchaus unlogisch. Die erste Forderung, die man stellen darf, ist, daß jedesmal der Teilungsgrund der gleiche bleibt. Hier teilt man aber nach zwei verschiedenen Prinzipien: bei den Saiteninstrumenten nach der Beschaffenheit des schwingenden Körpers, bei den Blas- und Schlaginstrumenten nach dem Modus der Tonerregung, ohne zu bedenken, daß es ja auch angeblasene und angeschlagene Saiteninstrumente gibt, wie etwa die Aeolsharfe und das Hammerklavier. Die üblichen Unterteilungen sind nicht besser. Die Blasinstrumente werden in Holz- und in Blechblasinstrumente geteilt, wobei ein nebensächliches Scheidungsprinzip, nämlich das Herstellungsmaterial, eine ganz unberechtigte Bedeutung erlangt, und mit einer kühnen Sorglosigkeit über den Umstand hinweggesehen wird, daß viele „Blechblasinstrumente” aus Holz verfertigt werden oder wurden, wie Zinken, Serpente, Baßhörner, und daß vor allen Dingen viele ”Holzblasinstrumente”, wie Flöten, Klarinetten, Saxophone, Sarrusophone, Tritonikons usw. durchgängig oder fakultativ aus Blech hergestellt werden. Der Instrumentenkunde sind die Bedenken, die gegen die Roheit der gebräuchlichen Einteilung erhoben werden können, nicht mehr neu, und in den letzten Jahrzehnten haben die Wissenschaftler mehr als einen Versuch gemacht, um zu brauchbaren Resultaten zu kommen. Neben allerhand Klassifizierungen, die sich aus dem zufälligen Bestande der einen oder andern Sammlung ergaben, hat in den neueren Katalogen fast allgemein die Einteilung Eingang gefunden, die Victor Mahillon seit 1888 seinem umfassenden Katalog des Brüsseler Konservatoriumsmuseums zugrunde legt. Mahillon nimmt als oberstes Teilungsprinzip die Art des schwingenden Körpers und unterscheidet danach solche Instrumente, deren Material an sich steif und elastisch genug ist, um periodisch zu schwingen, und die den Namen „Selbstklingende Instrumente” (Instruments autophones)1erhalten, in solche, deren Tonerreger eine erst auszuspannende Membran bildet, in solche, bei denen Saiten, und solche endlich, bei denen eine Luftsäule schwingt. Er unterscheidet also die vier Kategorien: Selbstklinger, Membraninstrumente, Saiten- und Windinstrumente. Neben der Einheitlichkeit des Teilungsprinzips hat dieses System den großen Vorzug, daß fast die ganze Masse der alten und neuen, der europäischen und exotischen Instrumente in ihm aufgeht. Mahillons Vierklassen-System verdient die höchste Anerkennung, weil es nicht nur den Anforderungen der Logik voll entspricht, sondern auch jedem Benutzer ein einfaches und subjektiver Willkür entzogenes Mittel an die Hand gibt; dabei entfernt es sich nicht so sehr von den früher üblichen Einteilungen, daß es alte Gewohnheiten in empfindlicher Weise verletzte.

Dennoch schien uns der weitere Ausbau des Vierklassen-Systems dringend der Erneuerung zu bedürfen. Mahillon geht von den Instrumenten des modernen Orchesters aus; sie, mit denen er als Instrumentenbauer und Musiker die engste Fühlung hat, haben ihm den ersten Anlaß zu seiner Systematik gegeben. Er hat dann in jahrzehntelanger rastloser Arbeit das unendlich weite Gebiet der europäischen und exotischen Instrumentenkunde in dem Maße erobert, als unter seiner vorbildlichen Leitung die Bestände des Brüsseler Museums anwuchsen. Es konnte daher nicht ausbleiben, erstens, daß manches neu hinzugekommene Stück sich in das System nicht fügen wollte, und zweitens, daß eine Anzahl Teilungsgründe, die im europäischen Instrumentarium eine Rolle spielen - Instrumente mit Klaviatur oder mit automatischem Antrieb - , einen unberechtigt hohen Rang einnehmen. Ja, Mahillon hat eben den europäischen Instrumenten zuliebe sich verleiten lassen, Kategorien zu koordinieren, die logisch nicht koordinierte Begriffe bilden. So teilt er die Windinstrumente in vier Zweige, nämlich erstens Zungen-, zweitens Mundloch-, drittens polyphone Instrumente mit Luftreservoir und viertens Kesselmundstückinstrumente. Oder die Trommeln in Rahmen-, Behälter- und zweifellige Trommeln. Darum teilt er auch die Felltrommeln, entsprechend unserer Militärtrommel und Pauke, und ebenso die autophonen Instrumente in solche mit unbestimmter Tonhöhe (Instruments bruyants) und solche mit bestimmter Tonhöhe (à intonation déterminée). Diese Unterscheidung ist deshalb mißlich, weil zwischen reinen Geräuschen und geräuschfreien Tönen alle möglichen Übergänge vorkommen und es sogar, von wenigen Laboratoriumsinstrumenten abgesehen, keine Schallquellen gibt, die wirklich reine Geräusche oder reine Töne erzeugen; vielmehr sind die Klänge aller gebräuchlichen Musikinstrumente immer mehr oder weniger geräuschverhüllt. Mahillon selbst scheint dies gefühlt zu haben, da er neuerdings den Lärminstrumenten solche à intonation nettement oder intentionnellement déterminée gegenüberstellt. Dieses Kriterium ist aber subjektiv und wird in der Regel nicht nachprüfbar sein.

Im allgemeinen mit Recht hat Mahillon unmittelbar unter die vier Hauptklassen „Zweige” gesetzt, die nach der Spielweise klassifizieren. Das ist indessen für Saiteninstrumente sehr bedenklich: eine Violine bleibt doch eine Violine, gleichgültig, ob man sie mit dem Bogen streicht, mit den Fingern pizzikiert oder col legno schlägt. Das scheint vielleicht schief, weil ja die Violine eigentlich für den Bogen eingerichtet ist. Aber andere Beispiele: man denke daran, daß es Instrumente gegeben hat, deren Spielart im Laufe der Zeiten gewechselt hat, deren Forrn aber konstant geblieben ist. Das ist u. a. beim alten keltischen Crowd der Fall, der nachweislich in ältester Zeit ein Zupfinstrument war und erst seit dem hohen Mittelalter gestrichen wurde. Soll nun eine Geschichte der Musikinstrumente das absolut gleich gebliebene Instrument halb im Kapitel Zupfinstrumente, halb im Kapitel Streichinstrumente besprechen? Oder das Psalterium, das nur dadurch, daß der Spieler Klöppel in die Hand nimmt, zum Hackbrett wird; sollen in einer Instrumentensammlung die an sich unterschiedslos gleichen Psalterien auf zwei Gruppen verteilt werden, nur weil im Herkunftsland der einen das Anreißen und in dem der anderen das Schlagen Gebrauch ist? Soll ich Klavichord und Hammerklavier zusammenstellen, das Cembalo aber bei den Gitarren unterbringen, weil seine Saiten gezupft werden?

Alle diese Bedenken haben uns veranlaßt, von neuem einen Versuch der Klassifizierung der Musikinstrumente zu unternehmen. Wir waren dabei in der glücklichen Lage, die großen und ausführlich beschriebenen Bestände der Brüsseler Sammlung, an denen Mahillons System geworden und gewachsen ist, heute als fertig vorliegende Basis benutzen zu können. Man wird nicht übersehen, daß mit zunehmender Kenntnis, besonders der außereuropäischen Formen, auch die Schwierigkeiten einer einheitlichen Klassifikation sich immer wieder erneuern. Es erscheint daher ausgeschlossen, heute schon ein System aufzustellen, das keiner Erweiterungen und Korrekturen mehr bedürfte. Im Anschluß an Mahillon haben auch wir den physikalischen Vorgang der Tonerzeugung als wichtigsten Einteilungsgrund angenommen; aber schon hier ergeben sich nicht unbedeutende Schwierigkeiten aus dem Umstand, daß die physikalische Akustik erst einen verschwindend geringen Teil der Vorarbeiten erledigt hat. So ist z. B. die Tonerzeugung durch das Schwirrholz, die Schwingungsweise der nordwest-amerikanischen „Bandzungen”, der Schwingungsvorgang bei Glocken, Gongs, Pauken, „Zupftrommeln”, Blasinstrumenten mit freier Zunge und Grifflöchern ganz ungenügend untersucht. Zu diesen Schwierig- keiten kommen andere aus der Morphologie der Instrumente. So ist die Frage nach der Abgrenzung des Begriffs „Rahmentrommel” (Tamburin) in völlig befriedigender Weise kaum zu lösen. Zweifellos ist die typische Rahmentrommel ein abgeschlossener Begriff, der von einer Klassifikation nicht übersehen werden darf. Der Übergang zwischen der ausgesprochenen Rahmentrommel und der ausgesprochenen Röhrentrommel vollzieht sich aber ohne Unterbrechung, und es ist aus der Form des Stückes oft nicht festzustellen, ob es sich um die eine oder um die andere handelt. Eine Crux für den Systematiker sind auch die Kontaminationen. Sie müssen als solche gekennzeichnet werden, indem man sie zwei (oder mehr) Gruppen zurechnet. In Sammlungen und Katalogen wird man sie nach dem Bestandteil einordnen, der das Übergewicht hat; aber Hinweise in den andern Gruppen dürften nicht fehlen. So kommen z. B. an Instrumenten aller Klassen Rasselvorrichtungen vor, die zum Inventar der Idiophone gehören, obwohl sie in der Klassifikation nicht berücksichtigt werden können. Wenn aus der Kontamination aber eine dauernde morphologische Einheit geworden ist – wie aus der Pauke und dem Musikbogen die Spießlaute –, muß sie auch im System ihren Platz, finden. Unsere Einteilung im einzelnen zu begründen, müssen wir uns versagen. Wer sie kritisch prüft oder praktisch erprobt, wird vermutlich unsere unprotokollierten Überlegungen mit unwesentlichen Variationen selbst wiederholen.

Bei Klassifikationen ist es vielfach üblich, die Rangordnung der Gruppen innerhalb des Systems durch besondere Titel zu kennzeichnen. Das geschieht namentlich in der Zoologie und Botanik durch Ausdrücke wie Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Varietät. Für die Instrumentenkunde hat bereits Mahillon das Bedürfnis empfunden und ihm durch Einführung der Bezeichnungen classe, branche, section, sous-section abzuhelfen gesucht. Auf Gevaerts Rat hat er auf die Einführung der Bezeichnung „Familie” verzichtet, weil sie als allbekannter Gruppentitel von jeher in der Instrumentenkunde Anwendung gefunden hat, um Instrumente gleicher Bauart, aber verschiedener Größe und Stimmung zu decken.

Die Durchführung einer einheitlichen Titulatur durch alle Rubriken hindurch halten wir aus folgenden Gründen für untunlich. Die Zahl der Unterabteilungen ist zu groß, um ohne eine kleinliche Titelwirtschaft auszukommen; außerdem muß in jedem System eine weitergehende Teilung nach den Bedürfnissen des Einzelfalles vorbehalten werden, so daß die Zahl der Unterteilungen noch immer wachsen kann. Da wir absichtlich die verschiedenen Gruppen nicht nach einem einheitlichen Prinzip untergeteilt, sondern den Einteilungsgrund allemal der Eigenart der Gruppe angepaßt haben, so sind Gruppen von gleicher Rangordnung im System durchaus nicht immer koordiniert. Es würden daher Ausdrücke wie „Art” das eine Mal einem sehr allgemeinen, das andere Mal einem mehr speziellen Begriff zukommen. Wir möchten deshalb vorschlagen, die allgemeinen Gattungstitel auf die obersten Gruppen zu beschränken. Man mag wie Mahillon die vier Hauptgruppen als Klassen (classes) bezeichnen, die folgenden, zweiziffrigen, als Unterklassen (subclasses), die dreiziffrigen als Ordnungen (ordines), die vierziffrigen als Unterordnungen (subordines). Wir haben darauf verzichtet, Unterteilungen anzugeben, die nicht bereits durch existierende Typen belegt sind, außer in den Fällen, wo ein komplizierterer Typus einen vorhergegangenen einfacheren, aber ausgestorbenen notwendig voraussetzt. So ist es nach Analogie zahlreicher anderes Typen anzunehmen, daß man einen vollen, geglätteten Holzblock mit der feuchten Hand angerieben habe, ehe man aus ihm durch Einkerbung mehrere verschieden abgestimmte Lamellen schnitt, wie es beim neumecklenburgischen Reibblock der Fall ist. Auch der Formenreichtum der Rassel ist so unübersehbar, daß nur ganz allgemeine Ordnungsprinzipien gegeben werden können, die gewiß noch vielfacher Ergänzung bedürfen. Im allgemeinen haben wir gesucht, nur solche Einteilungsgründe zu verwenden, die ohne subjektive Willkür und ohne Zerstörung des Instruments, schon an seiner äußern Form erkannt werden können. Dabei waren sowohl die Bedürfnisse des Museumskonservators, als die des Forschungsreisenden und des Ethnologen zu berücksichtigen. Wir sind mit den Unterteilungen soweit gegangen, als eine Beachtung der Details kulturgeschichtlich wichtig erscheint. Die Anlage des Ganzen gestattet, je nach den Bedürfnissen die Klassifizierung des zu bearbeitenden Materials summarisch oder bis ins einzelne vorzunehmen; allgemeine Abhandlungen und kleine Sammlungen werden sich unserer Klassifikation nicht bis in die letzten Glieder zu bedienen brauchen, während Spezialmonographien und Kataloge großer Museen leicht noch mehr in Details gehen können. Die Verwertung unserer Ergebnisse für das Katalogisieren und Beschreiben wird durch die Annahme des Deweyschen Ziffernsystems wesentlich erleichtert werden.2 Wenn die Sammlungsleiter, die in nächster Zukunft Kataloge herausbringen, sich zur Annahme unseres Ziffernsystems entschließen, wird man beim Aufsuchen eines Typus auf den ersten Blick feststellen können, ob dieser Typus in der Sammlung vertreten ist. Die geniale Idee Deweys bestand darin, anstatt der sonst üblichen Zusammenstellungen von Zahlen, Buchstaben, Doppelbuchstaben, ausschließlich Ziffern, und zwar Dezimalbrüche zu verwenden, in der Weise, daß jede weitere Unterteilung durch Anfügung einer neuen Ziffer am rechten Ende der Reihe gekennzeichnet wird; die dem Dezimalbruch voranstehende Null wird allemal weggelassen. Es wird so nicht nur möglich, die Spezialisierung beliebig weit zu treiben, ohne mit der Numerierung je in Verlegenheit zu kommen, sondern man erkennt am Stellenwert der letzten Ziffer unmittelbar die logische Rangordnung des ausgedrückten Begriffs im System. Auch können innerhalb derselben Ziffesnreihe durch zwischengeschaltete Punkte beliebig viele Stellen zu einer Gruppe zusammengefaßt werden. Ein Beispiel: es gilt ein Glockenspiel zu bezeichnen und unterzubringen. Im Sinne unseres Systems handelt es sich um ein Idiophon, dem die erste Ziffer 1 zukommt. Da es geschlagen wird, so gehört es in die erste Unterklasse, die dieser 1 eine weitere 1 zufügt (Schlagidiophone = 11). Durch weitere Angliederung der entsprechenden Ordnungsziffer ergibt sich, da es unmittelbar geschlagen wird, die Ordnung 111. Als Aufschlagidiophon erhält es die vierte Ziffer 2 (1112 = Aufschlagidiophone). Weitere Spezialisierung führt zu den Bezifferungen 11124 (Aufschlaggefäße), 111242 (Glocken), 1112422 (Glockenspiele), 11124222 (Hängeglockenspiele), 111242222 (Klöppelglockenspiele). Es ist klar, daß jeder selbst entscheiden kann, wieweit er im Einzelfall gehen mag. Statt der unübersehbaren Zahl, zu der wir gekommen sind, setzen wir 111.242.222. Die erste Gruppe sagt, daß es sich um ein unmittelbar geschlagenes Idiophon handelt, und die erste und zweite zusammen, daß von Glocken die Rede ist. Gemeinsame Merkmale, die für alle Instrumente einer Klasse in Frage kommen könnten, z. B. für Membranophone die Art der Fellbefestigung und für Chordophone die Spielweise, werden abermals durch Ziffern notiert, die durch einen Bindestrich an die eigentliche Systemzahl angehängt werden; so würde unser Hammerklavier die Systemzahl 314.122-4-8, das Cembalo die Zahl 314.122-6-8 erhalten, wobei 8 die Klaviatur, 4 die Hammerspielart, 6 die Plektrumspielart bezeichnet, während die identische Hauptziffer eine Brettzither mit Resonanzkasten ausdrückt.

Falls es aus irgendeinem Grunde wünschenswert erscheint, einen der zusätzlichen Teilungsgründe zum übergeordneten Hauptbegriff zu machen, so kann dies einfach durch Umstellung der Ziffern geschehen. So würde eine Sackpfeife, bei der sowohl Spielpfeife als Stimmer Klarinetten sind, zu bezeichnen sein als 422.22-62, d. h. ein Klarinettenspiel mit flexiblem Windbehälter. Will man aber, etwa in einer Monographie über Sackpfeifen, diese differenzieren, so wird man schreiben: 422-62:22, d. h. ein Schalmeieninstrument mit flexiblem Windbehälter (=Sackpfeife), dessen Pfeifen ausnahmslos Klarinetten sind.

Man kann auch umgekehrt, um im System getrennte Gruppen enger zusammenzufassen, einen höheren Teilungsgrund zu einem zusätzlichen machen, ohne das System zu stören. Man ersetzt einfach die betreffende Kennziffer durch einen Punkt und fügt sie mit einer] am Schluß wieder an. So wird man in dem angeführten Beispiel, da Sackpfeifen immer polyorganisch sind, aber bald aus Klarinetten, bald aus Oboen zusammengesetzt, statt: 422-62:22 – Schalmeieninstrument, mit maximalem Windbehälter, polyorganisch,3 aus Klarinetten – lieber schreiben: 422-62:.2 Schalmeienspiel mit flexiblem Windbehälter = Sackpfeife, und diese differenzieren in 422-62:.2]1 = Oboen-Sackpfeife und 422-62:.2]2 = Klarinetten-Sackpfeife.4

Weitergehende Bestimmungen, die sich auf den zusätzlichen Begriff beziehen, werden dessen Ziffer angefügt: 422-62: .2]212 = Sackpfeife aus Klarinetten mit zylindrischer Bohrung und Grifflöchern. In den zahlreichen Fällen, wo Instrumente sich aus Einzelteilen zusammensetzen, die für sich verschiedenen Gruppen des Systems angehören würden, kann dies dadurch ausgedrückt werden, daß man die einzelnen Kennzahlen durch ein Pluszeichen verbindet. Man kann dann die den beiden Zahlen gemeinsamen Anfangsziffern durch einen Punkt begrenzen und nur einmal schreiben; wir würden also eine moderne Posaune mit Zügen und Ventilen nicht mit 423.22+423.23, sondern mit 4232.2+3 bezeichnen. Analog wären im oben gegebenen Beispiel Sackpfeifen, die teils aus Klarinetten, teils aus Oboen zusammengesetzt sind, zu symbolisieren durch 422.62:.2]1+2.

Unter Umständen kann es notwendig werden, nicht nur die Rangordnung der Begriffe umzustellen, nicht nur neue Unterteilungen zu schaffen, sondern einem höheren Gattungsbegriff ein Merkmal einzuverleiben, das im System mit Absicht nicht benützt ist. Auch dem steht nichts im Wege. Wir wollen dies an einem letzten Beispiel erläutern und zugleich zeigen, wie wir uns Ergänzungen unseres Systems für besondere Zwecke denken. Es handle sich um eine Monographie des Xylophons. Das System unterteilt die Aufschlagidiophone (111.2) nach der Form der geschlagenenKörper, in Aufschlagstäbe (111.21), -platten (111.22), -röhren (111.23) und -gefäße (111.24). Da Xylophone den ersten drei dieser Gruppen angehören können, die Form der Klangkörper bei ihnen aber wenig relevant ist – sind doch die Übergänge von Stäben zu Platten fließend – , so werden wir die fünfte Ziffer herausnehmen und fakultativ als Zusatzbestimmung ]2 am Schluß anfügen. Als sechste Ziffer behalten wir 2 bei, wenn sich die Beschreibung auf mehrtönige Instrumente beschränken soll. Wir erhalten: 1112.2=Aufschlagspiele. Nun sollen Klangkörper aus Metall, Stein, Glas usw. ausgeschlossen werden; wir müssen also eine Unterteilung nach dem Material, die das System nicht vorsieht, ad hoc schaffen, etwa:

1112..21 = Xylophone            Klangkörper aus Holz,

1112..22 = Metallophone             "             "    Metall,

1112..23 = Lithophone                "             "     Stein,

1112..24 = Kristallophone            "             "    Glas.

Die weitere Klassifikation der Xylophone wird dann solche morphologischen Merkmale benützen, die auch für die Ethnologie bedeutsam sind.

Klassifikation

Charakteristik

Beispiele

1112..21.1 Liege-  Xylophon

Die Klangkörper ruhen auf einer elastischen Unterlage.

.

.11 Holm-X.

Die Unterlage besteht aus unverbundenen Stäben. (NB. Unter den Klangkörpern gewöhnlich eine flache Erdgrube.)

Ozeanien, Indonesien, O.- u. W.- Afrika.

.12 Rahmen-X.

Die Träger sind durch Querstäbe oder -bretter verbunden.

.121 Bügel-X.*

Der Rahmen wird vom Spieler an einem Gurt um den Hals getragen und durch einen Bügel vom Körper abgehalten.

SO.–, O.– u. W.– Afrika.

.122 Tisch-X.*

Der Rahmen wird von einem Gestell getragen.

Senegambien.

.13 Schlitten-X.

Die Klangkörper liegen auf den Kanten zweier vertikal gestellten Bretter.

C.-Afrika.

.14 (Liege-) Trog-X.

Die Klangkörper liegen über einem oben offenen trog- oder kastenförmigen Gefäß.

Japan.

.2 Hänge-X.

Die Klangkörper sind an zwei Schnüren aufgereiht, ohne Unterlage.

.

.21 (freies) Hänge-X. 

Ohne Kasten.

Cochinchina.

.22 (Hänge-)Trog-X.

Mit trogförmigem Kasten.

Hinterindien, Java.

*  Weiter zu teilen durch:

NB. Die Resonatoren, meist Kalebassen, haben oft mit Membranen verschlossene Löcher; in diesem Fall besteht Kontamination mit 242, Gefäßmirlitons. Eventuell wäre nach der Anbringungsart der Membran (direkt oder auf einem Konus) noch weiter zu teilen. Dagegen ließe sich, wenn Beispiele resonatorenloser Rahmenxylophone nicht noch gefunden werden, eine Ziffer ersparen. Die folgende systematische Übersicht über die Musikinstrumente ist in Form einer Tabelle gegeben, die zugleich als Bestimmungstafel gedacht ist. In die Charakteristik der Typen sind darum da und dort Warnungen vor naheliegenden Mißverständnissen oder Verwechselungen aufgenommen. Die Erklärungen und Beispiele sind auf das nötigste beschränkt; jene wollen keine Beschreibungen, diese keine kulturhistorischen Notizen sein. Die Anschauung wäre auch durch seitenlange Deskriptionen nicht zu ersetzen gewesen. Der Fachmann wird wissen, was gemeint ist, und den Laien kann nur ein Museumsbesuch orientieren.

[systematische Übersicht:]

1 Idiophone 2 Membranophone 3 Chordophone 4 Aerophone


[Anmerkungen] 1  Wir ziehen aus Gründen, die von Sachs in seinem Reallexikon der Musikinstrumente (Berlin 1913) S.195a dargelegt worden sind, die Bezeichnung     Idiophone vor.

2  Da die von der Bibliographie Internationale vorgesehene Numerierung für Musikinstumente nur auf moderne europäische Formen anwendbar und auch für diese so unzulänglich als möglich ist, haben wir unsere Numerierung unabhängig von jener vorgenommen.

3  Polyorganisch bedeutet aus mehreren Einzelinstrumenten zusammengesetzt.

4  Die Zeichen - : ] sind hier etwas abweichend von der Classification Bibliographique Décimale verwendet, doch ganz im Sinne dieses Systems. Es gelten die Regeln: Der Bindestrich wird nur in Verbindung mit den in den Tafeln angegebenen Zusatzziffern gebraucht; bei weiterer Teilung nach den Zusatzziffern folgt diesen der Doppelpunkt (also 422-62 = Schalmeieninstument mit Windbehälter, aber 422-6:2 = 422.2-6 Oboe mit Windbehälter!); bei weiterer Teilung nach einer Auslassung folgt ] .


Der Artikel von Hornbostel-Sachs wurde von Florian Ball fürs Internet erstellt.

Zur englischen Übersetzung des Artikels siehe: Hornbostel, Erich M. von; Sachs, Curt: “Classification of Musical Instruments: Translated from the Original German by Anthony Baines and Klaus P. Wachsmann.” The Galpin Society 14, 1961: 3-29. (with “Translators' Glossary showing certain terms employed and their equivalents in the original”).

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