Versuch einer gründlichen Violinschule

Leopold Mozart wird am 14. November 1719 in Augsburg als Sohn eines einfachen Buchbinders geboren. Während er auf Wunsch seines Vaters einen geistlichen Beruf ergreifen hätte sollen, geht Leopold Mozart nach dem Tod seines Vaters nach Salzburg und schlägt sich dort zunächst als Kammerdiener durch. Wie es die Zeit der Aufklärung verlangte, erwirbt er sich aber zugleich eine vielseitige Bildung, indem er einige Zeit die philosophische Fakultät der Salzburger Universität besucht und dort ein Jus- und Philosophiestudium beginnt, das er jedoch wieder abbricht.

Im Jahre 1743 tritt er als 4. Violinist in die erzbischöfliche Hofkapelle ein, wo er sich bis zum Hofkapellmeister (1757) und schließlich zum Vizekapellmeister (1763) hinaufarbeitet. Im Geburtsjahr seines Sohnes Wolfgang Amadeus Mozart, 1756, erscheint seine Abhandlung „Versuch einer gründlichen Violinschule“ in Druck bei J. Jakob Lotter in Augsburg, eines der wichtigsten Lehrwerke bzgl. Violinmusik des 18. und 19. Jhdts. Gewidmet ist das Buch dem „Hochwürdigsten und Hochgeborenen Reichsfürsten Siegmund Christoph von Schrattenbach, Erzbischof zu Salzburg und Deutschen Primas“

Nur drei Jahre zuvor erscheint Philipp Emanuel Bachs „Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen“. Leopold Mozarts Lehrbuch wird mehrmals aufgelegt und in verschiedenen Sprachen übersetzt. Es umfasst 264 Seiten Text, der durch meist kurze und einige längere Notenbeispiele und Abbildungen illustriert wird.

In einem trockenen Handwerkston wendet sich Leopold Mozart zunächst an Unwissende, die noch nie eine Geige in der Hand gehabt haben. Ein großer Meister erklärt sein Gerät.

Doch bald versteht jeder Leser, dass diese „Violinschule“ auch etwas anderes ist als eine Violinschule. Man erfährt im Text eine Ausführung, die durchaus wissenschaftlich genannt werden kann.

So versucht Leopold Mozart die praktische und geistige Seite eines Gegenstands zu vereinen, er, der sich genau auf der Wasserscheide der Barockzeit in ihrer katholischen Frömmigkeit und der Zeit der Aufklärung mit ihrem enzyklopädischen Bestreben, befindet. Für seine wissenschaftlichen Untersuchungen verwendet Leopold Mozart Tartinische Lehrmethoden bzw. Lehrstücke.

Giuseppe Tartinis (1692 – 1770), der sich sein musikalisches Können als Autodidakt aneignet, hört 1716 den Violinist Francesco Maria Veracini in Venedig spielen. Tartini ist begeistert von dessen musikalischen Ausdruckskraft, die auch er unbedingt beherrschen möchte. So zieht er sich nach Ancona zurück und widmet sich ausschließlich der Arbeit mit der Violine, mit dem Ziel, seinem Zeitgenossen Veracini musikalisch gleich zukommen. Tartinis erreicht als Violinist größte Bewunderung.

Er war ein Meister seines Instruments. Besonders dem Bogen der Violine maß er große Bedeutung zu. So gibt er Ratschläge und Anweisungen zur Übung eines kontrollierten Bogens. In einem Brief an seine damalige Schülerin Maddalena Lombardini, später Mme. Sirmen, aus dem Jahre 1760, beschreibt Tartinis methodische Leitsätze seines Lehrsystems. Dabei legt er großen Wert auf die Verwendung des Bogens und meint, dass der Gebrauch des Bogens in vornehmster Übung zu erfolgen hätte, da man nur auf diese Weise ein unbeschränkter Meister sowohl in Passagen als auch im Kantabile werden könnte. Jeder Tonsatz muß an jeder Stelle des Bogens weich vollzogen werden um die perfekte Tonfülle entwickeln zu können. Tartini verwendet 2 Bögen zu Übungszwecken, der eine für den 3/4 Takt, der andere für den 4/4 Takt. Er unterteilt die Bögen dem entsprechend mit Markierungen. Das besondere an Tartinis Schule ist sein Adagiospiel und in diesem Zusammenhang die Bogenkunst in der Nuancierung des Tons. Von seinen Zeitgenossen wird Tartini auch „Maestro delle nationi“ genannt.

Leopold Mozart beschreibt seine eigene Lehrmethoden fast ausschließlich am Beispiel des „Steckfroschbogen“. Dabei geht er davon aus, dass ein richtiger Ton, ein so genannter „männliche Ton“ nur dann zu erreichen sei, wenn die Griffhaltung am Frosch selbst und nicht ein Stück vom Frosch entfernt, passiert. Es kontrolliert hauptsächlich der Zeigefinger den Bogen, indem der Druck- und Auflagepunkt zwischen dem zweiten und dritten Fingerglied liegt. Leopold Mozart bezeichnet den Bogen als „âme de instrument“, die Seele des Instruments. Die absolute Beherrschung des Bogen ist oberstes Ziel eines Violinisten.

Zum ersten Mal wird das Problem des Beginnens eines Bogenstrichs besprochen. Leopold Mozart geht von einer, wenn auch kaum merklichen Schwäche aus, die jeder Ton vor sich hat, welche genau am Ende des Tons zu hören ist. Wird aber der Bogen exakt geführt, kann der Spieler die Schwäche der Töne übertauchen und jeden einzelnen Ton schön und rührend erscheinen lassen. Dazu empfielt Mozart Übung an verschiedenen Charakteren nuancierter Bogenstriche, wozu er in seiner Abhandlung Beispiele angibt.

Leopold Mozart verwendet die Bezeichnung „messa di voce“ wenn er die Bedeutung einer langen Note anspricht. So beschriebt er das Zurückhalten eines Bogens, ein Möglichkeit um diese lange Note zu erreichen, die dem Ohr des Zuhörers Vergnügen bereitet. Technisch erklärt er es mit einem Anschwellen der Note bis zur Mitte des Strichs und ein Abschwellen bis zu seinem Ende.

Dabei verlangt Mozart von einem Violinist exakte Fingerfertigkeit, die es ermöglicht exakte Töne zuspielen. Außerdem ist eine Schulung in Rhetorik und Poetik für jeden Musiker von Vorteil.

Leopold Mozarts „Violinschule“ bietet sowohl seinen Schülern als auch den Musiklehrern große Unterstützung im erfolgreichen Unterricht. Über ein Jahrhundert lang lernen Virtuosen , aber auch Dilettanten aus diesem Buch. Es war hochberühmt.

Etwa im selben Zeitraum (1751) erscheint in England eine andere „Violinschule“ von Francesco Geminianis (1687 – 1762) mit dem Titel „Art of Playing on the Violin“, ein Lehrbuch für Berufsgeiger. Auch Geminianis verurteilt die im 17. Jhdt. gebräuchliche Abstrichregel.

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