Wie entsteht Verkehr?
Wie entsteht Verkehr? Warum wird es immer mehr?
s = v * T
Diese Gleichung (mit kleinem t) kennt sicher jeder noch aus dem Physikunterricht.
s: die zurückgelegte Strecke oder das, was wir als Verkehr wahrnehmen und was uns die aktuellen VerkehrsProbleme beschert.
v: die Geschwindigkeit, die durch neuen StraßenBau und Billigflieger ständig steigt
T: die Zeit, die die Menschen täglich mit Mobilität verbringen. Das große 'T' soll symbolisieren, dass diese seit 100 Jahren einigermaßen konstant ist (KonstantesZeitbudget).
Wenn aber die Zeit konstant ist, bedeutet dies, dass wir durch immer höhere Geschwindigkeiten immer mehr Verkehr erzeugen.
Damit ist das Phänomen Verkehr im Wesentlichen erklärt.
Warum trotzdem immer mehr Straßen gebaut werden, kann man auf http://www.verkehrswissenschaftler.de nachlesen.
Die Gleichung s=v*T ist unter http://www.verkehrswissenschaftler.de/berichte/bericht_2.htm noch genauer erklärt und mit Diagrammen veranschaulicht.
Prof. Dr. Hermann Knoflacher
Zusammenfassung des Vortrags in Stuttgarter Rathaus vom 4.4.2005
Hier eine kurze Zusammenfassung des Vortrags von Prof. Dr. Hermann Knoflacher in direkter Rede (unverbindlich von Jan Sieckmann zusammengeschrieben)
Seit etwa 1980 ist die Tragfähigkeit der Erde überschritten. Bis es allgemein bemerkbar wird, wird es aber noch dauern, Umfassendere Wohlstandsindikatoren für die USA sinken bereits. Wir leben mit unserem Energieverbrauch auf Pump und werden uns umstellen müssen. (Soweit vielleicht noch nichts Neues)
Der Grund für unsere Blindheit ist, dass wir das Phänomen der Hochgeschwindigkeit und ihrer systemischen Folgen in der Regel nicht durchschauen und dass wir kleinhirngesteuert sind. Dazu mehr weiter unten. - Es redet der ADAC von Freier Fahrt für freie Bürger und "vergisst", dass das als Resultat Unfreiheit für die Nichtautofahrer bedeutet. Auch die Stadtplaner konzentrieren sich noch auf die Infrastruktur (Einfach mehr Straßen), vernachlässigen jedoch den Menschen und das System Verkehr.
"Es gibt jetzt mehr Mobilität"? Mythos! Es gibt nachweisbar genauso viele Wege wie früher, nur sind sie länger. Auch Urgroßvater und Urgroßmutter waren auf den Beinen. Die Mobilität ist also nur umgeschichtet, ja: "Mobilität"/weitere Strecken sind ein Anzeichen von Mangel: an Bedürfnisbefriedigung am Ort. Das scheinbare "Wachstum" bedeutet in Wirklichkeit Vernichtung der örtlichen Strukturen. Durch die Transportsubvention und -verlagerung können Multis und Supermärkte scheinbar günstiger anbieten. "Höhere Geschwindigkeit schafft mehr Zeit"? Mythos! In Österreich hat sich in den letzten 50 Jahren die Durchschnittsgeschwindigkeit verzehnfacht. Die jetzt längeren Wege brauchen exakt genauso lange. Über das System Verkehr verstopfen neue Straßen ganz schnell wieder. Das heißt, das Auto schafft keinerlei "Nutzen", der die hohen Kosten rechtfertigen könnte. Im Gegenteil: durch die soziale Vereinzelung im Auto steigt die Frustration. Die Unsicherheit steigt durch die Verödung der Bürgersteige.
Autozentrierte Massenmedien tragen zu einer autozentrierten Wahrnehmung bei (wie die ständigen "Verkehrs"meldungen etc.). Doch sind es die Fußgänger, die unsere Städte vielfältig und intelligent gemacht haben. "Wer es nicht in den Beinen/Reifen hat, hat es im Kopf und umgekehrt". Kleinteilige langsame Strukturen müssen alles am Ort anbieten können. Gut organisierte, dichte Städte haben auch einen viel niedrigeren Energieaufwand und sind nachhaltig. Das Auto hingegen schwächt die Städte und hängt sie gewissermaßen an den Energie-Tropf.
Die Verkehrsmenge ergibt sich aus der Verkehrsdichte mal Geschwindigkeit. Wenn, wie oben erwähnt, diese Dichte konstant ist, führt eine Geschwindigkeitserhöhung bereits rein logisch mittelfristig zu einer Verkehrsmengenerhöhung: die Menschen steigen aufs Auto um. Die Folge ist der Superstau nach 10 Jahren.
Verhalten entsteht aus Strukturen. Verstärkt wird es durch eine Kleinhirn-Reaktion ähnlich den Bienen. Mit ihrem Schwänzeltanz signalisieren diese ihren Kolleginnen nicht etwa die Entfernung des Futters, sondern den Energieaufwand dafür, dorthin zu gelangen. Dieser steigt durch die Ermüdung exponentiell mit der Entfernung: so werden dann längere Fußstrecken in der Tat systematisch überschätzt.
Hier setzt nun die Besonderheit des Autos ein: Für das Bedienen von Gas und Steuerrad wird kaum Energie des Fahrers selbst benötigt. Auch wenn die Gesamteffizienz auf ein Dreihundertstel gesunken sein mag. Auch wenn plötzlich sechsmal so viel Fläche benötigt wird. Das Kleinhirn sieht nur den geringen körperlichem Energieaufwand und reagiert mit suchtähnlichem Verhalten.
Die positive Wirkung von Staus: (Erst) Staus führen zum Lernen der Verkehrsteilnehmer. Ohne Stau hat ein Verkehrsplaner etwas falsch gemacht! Erfolgreich waren Planer dann, wenn sie wie in Birmingham etc. Straßen zurückgebaut(!) haben. Solche Änderungen der Struktur sind nötig und der Anfangspunkt. Ansonsten käme die ach so bequeme Sucht wieder zurück. Würde man etwa bei einer Toilettenspülung das Zugangsrohr immer mehr vergrößern oder nicht doch einfach den Gegendruck am Kastenhebel installieren, der das Wasser zurückhält? Die physischen Strukturen müssen also geändert werden, was politische Mehrheiten und 4-5 Jahre braucht (Beispiel: das früher völlig verkommene, aber nun umgeplante Birmingham).
Kurzfristige und mittelfristige Maßnahmen können sein:
- Abschaffung der Busbuchten (Autos sollen ruhig kurz dahinter warten), Vorrang für den ÖPNV
- Parkplätze müssen mindestens ebenso weit entfernt sein wie die nächste Haltestelle. Ansonsten wird das Kleinhirn ins scheinbar bequeme Auto steigen.
- Parkplatzabgabe: je näher jemand an seiner Wohnung parkt, umso höher. Auch andere Parkplätze wie die der Supermärkte werden besteuert. Anwohnerparken ist folglich höchstens eine mögliche vorläufige Geldquelle für diese Umgestaltung, jedoch keinesfalls eine endgültige Lösung. Die Reichsgaragenordnung von 1939 mit ihrem Parkplatzzwang muss gänzlich verschwinden. An der Stelle könnten schöne Bäume o.ä. stehen.
- Visualisierung der Ungerechtigkeit: warum dürfen Autos Menschen anspritzen und Feinstaub erzeugen/aufschleudern, aber umgekehrt Menschen keine Autos?
- Parkplätze mit einer Picknickdecke belegen und feiern (mit Ticket natürlich); "Gehzeug": ein Gerüst für Fußgänger, das den Platzverbrauch eines Autos als perverse Platzverschwendung veranschaulicht. .
- Ziele und Indikatoren festlegen: der Autoverkehr muss auf 5-10% seines jetzigen Wertes. Bei durchschnittlich kaum mehr als 1,0 Menschen im Auto gibt es dort - genauso wie beim ÖPNV - enorme Reserven.
Für sehr Kurzfristiges wie Feinstaub empfiehlt sich erst einmal Anderes: Nachtfahrverbot für Lkw und Tempolimit, damit weniger aufgewirbelt wird.
Zum Vortragenden:
Knoflacher, Hermann, * 21. 9. 1940 Villach (Kärnten), Zivilingenieur. Seit 1975 Professor an der Technischen Hochschule/Universität in Wien, seit 1985 Vorstand des Instituts für Verkehrsplanung und -technik; war Assistent beim Begründer der Unfallforschung F. Bitzl, kämpfte für die Einführung der Gurtpflicht, erstellte einen Verkehrsentwicklungsplan für Wien auf Basis eines "Öko-City-Konzepts".
Zu seinen Büchern zählt u.a. "Landschaft ohne Autobahnen. Für eine zukunftsorientierte Verkehrsplanung", Böhlau Verlag 1997; "Stehzeuge. Der Stau ist kein Verkehrsproblem", B.Vg.2001.
In der StaBü Stuttgart: http://141.31.128.163/wwwopac/detail.asp?MedienNr=0254641